Sehr geehrter Herr Spahn,
diese Uhr welche sie in Ihren Händen halten gehörte einem Bewohner aus einem Seniorenzentrum irgendwo in Rheinland-Pfalz. Diese Uhr habe ich von der Ehefrau des Bewohners nach seinem Tod erhalten und die Geschichte hinter dieser zerbrochenen Uhr hat mich sehr traurig und nachdenklich gestimmt. Sie war ein Teil, der dazu beigetragen hat mich so intensiv mit dem Pflegenotstand zu beschäftigen und gegen diesen anzukämpfen.
Es handelte sich dabei um einen Mann im Alter von 76 Jahren. Er war noch sehr fit und eigenständig obwohl ihn seine Grunderkrankung, Morbus Parkinson, immer mehr einschränkte und er dadurch auf Hilfe angewiesen war. Die Ehefrau hatte ihren Mann sehr lange, fast 10 Jahre, daheim mit Unterstützung eines ambulanten Dienstes versorgt. Am Ende reichte ihre Kraft jedoch nicht mehr aus und sie musste ihn schweren Herzens in ein Pflegeheim geben. Dort gewöhnte er sich schnell ein und verlor niemals den Humor auf seinem Wohnbereich und hatte Verständnis für die anderen Bewohner, aber auch für die Situation der Pflegekräfte vor Ort. Wenn es möglich war, half er mit und versuchte diese zu entlasten.
An diesem Tag jedoch sollte sich alles verändern.
Der Bewohner wollte kurz vor Mitternacht auf die Toilette gehen und meldete sich per Ruf bei der zuständigen Pflegekraft in der Nacht um deren Unterstützung zu bekommen, da der Weg für ihn alleine zu gefährlich war und er zu schwankend und unsicher auf den Beinen aufgrund des Parkinson war. Die Pflegekraft war in dieser Nacht jedoch mit der Situation auf dem Wohnbereich überfordert, betrat das Zimmer und bat den Bewohner um ein wenig Geduld und schilderte diesem kurz die Situation. In „5 Minuten“ wollte sie wieder da sein.
Der Bewohner wartet und wartete, aber die Pflegekraft kam nicht wieder. So dachte er sich um der Pflegekraft zu helfen, dass er sich selbst auf den Weg macht zur Toilette um diese zu entlasten, denn das hatte ja schon etliche Male vorher auch geklappt. Er lief schwankend zum Bad in seinem Zimmer und suchte nach dem Lichtschalter.
Dabei passierte es. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte. Mühevoll versuchte er sich irgendwo festzuhalten während des Sturzes und schrammte dabei am Heizkörper mit seinem Kopf vorbei, knallte auf das Waschbecken und fiel zu Boden. Er verlor sofort das Bewusstsein.
Die Pflegekraft schaffte es erst um 0:15 Uhr in dieser Nacht das Zimmer des Bewohners aufzusuchen und wollte ihn, wie geplant, zur Toilette begleiten. Als sie das Zimmer betrat fand sie den Bewohner im Bad in einer großen Blutlache mit klaffender Platzwunde und ohne Puls vor. Die Pflegekraft fing sofort mit der Reanimation an, rief den Notarzt und kämpfte um das Leben des Bewohners.
Als der Rettungsdienst eintraf hatte der Bewohner einen sehr flachen Puls, war aber wieder da, jedoch ohne Bewusstsein. Der Rettungsdienst nahm den Bewohner natürlich sofort mit um ihn ins nächstgelegene Krankenhaus zu bringen.
Der Bewohner verstarb in dieser Nacht gegen 03:00 Uhr an einer schweren Hirnblutung.
Er starb, weil er die Pflegekraft, welche in der Nacht mit einem Kollegen zu zweit für über 110 Bewohner zuständig war, entlasten wollte.
Diese Uhr hat mich nun viele Jahre begleitet und wurde für mich zu einem Symbol, sie wurde für mich zur „Uhr der Schande“. Nun ist es an der Zeit diese Uhr weiterzugeben um vielleicht auch Sie zum Nachdenken zu bringen.
Diese Uhr wurde beim Sturz zerstört und blieb genau zu diesem Zeitpunkt mit zersplittertem Glas stehen. Die Uhrzeit zeigt 23:58 Uhr. Die Situation in den Pflegeberufen ist nicht mehr „fünf vor Zwölf“ oder „zwei Minuten vor Zwölf“, es ist schon weit danach.
Es wird Zeit, dass Sie handeln, fernab jedes Parteibuches zum Wohle der Bürger*innen welche einen Lebensabend in Würde und mit der bestmöglichen Versorgung verdient haben. Diese Uhr ist ein Sinnbild, wie schnell jeder von uns ein Teil dieses kranken Gesundheitssystems werden kann.
Falls Sie ein Gespräch wünschen, so können Sie mich natürlich gerne kontaktieren. Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung um Ihnen einen ungeschönten Blick auf die Zustände der Pflegeberufe zu geben.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Heyde
Quelle • Facebook • Pflegekräfte in Not • Urheber Text © Stefan Heyde