Pflegenotstand

Heute erreichte mich eine anonyme Email aus Thüringen von Udo. Er ist/war Dauernachtwache in einem Pflegeheim und Altenpfleger seit 20 Jahren:

„Lieber grauer Star (Ja, ich mag diesen „Spitznamen“ bei Ihnen, auch wenn Sie ihn wohl nicht mehr gebrauchen),

Mein Name ist Udo, ich bin Altenpfleger seit nunmehr 20 Jahren und arbeite in einem Seniorenheim als Dauernachtwache. Unser Heim in dem ich arbeite, wurde vor 3 Jahren innerhalb der privaten Träger verkauft, da es sich für den vorherigen Träger nicht mehr finanziell lohnte und die negative Presse zu groß geworden war.

Unser neuer Träger begann auch nicht mehr zu tun als der vorherige. Wir haben aktuell 12 offene Stellen für Fachkräfte. Und das für ein Seniorenheim mit fast 170 Betten. Jeder Dienst ist natürlich chronisch unterbesetzt. Der Krankenstand ist hoch und wir überleben momentan nur noch durch die Zeitarbeit, welche uns oftmals „den Arsch rettet“ (Entschuldigung für den Ausdruck). Wir haben zumindest das Glück, dass es eines der wenigen Seniorenheime ist, welches noch keinen Demenzbereich hat.

In der Nacht sind häufig mein Kollege und ich im Einsatz für das komplette Haus. Insgesamt haben mein Kollege und ich zusammen fast 370 Überstunden aufgebaut. Auf Nachfragen ob wir diese Stunden ausbezahlt bekommen oder als Freizeit nehmen dürfen wurden und werden wir immer noch von der PDL und EL vertröstet. Wir beiden Festangestellten gehen mehr als auf dem Zahnfleisch.

Vor kurzem als mein Kollege und ich im Nachtdienst waren, kam es zu zwei Notfällen. Wir waren die ganze Nacht damit beschäftigt, die übliche Routine abzuarbeiten. So gut es möglich ist. Irgendwann gegen 4 Uhr schafften wir es einen Kontrollgang zu beginnen und teilten uns im Heim auf. Ich begann im EG, mein Kollege im 2. Stock. Wir wollten uns bei den Pflegefällen im 1. Stock treffen um dort gemeinsam uns auszuhelfen.

Als mein Kollege im 2. Stock unterwegs war, fand er in einem Bewohnerzimmer einen Bewohner im Bett liegend vor, welcher wohl vor kurzem gestürzt war, sich wieder ins Bett geschleppt hatte und dort nun leblos lag. Im Bett um ihn herum eine Blutlache aus einer Kopfwunde, überall Blut im Zimmer. Er hatte keinen Puls mehr. Mein Kollege startete mit der Wiederbelebung und rief mich zeitgleich über unser internes Telefon an und schaltete den Lautsprecher an, damit ich mithören und anleiten konnte.

Ich rannte so schnell ich konnte vom EG in den 2. Stock über die Treppe. Im 1. Stock bemerkte ich dann, dass dort jemand im Speiseraum auf dem Boden lag, man sah nur zwei Füße von der Tür aus. Natürlich musste ich dort nachschauen und rannte hin. Es lag eine Bewohnerin nach einem Sturz am Wasserspender auf dem Boden. Bei ihr ebenfalls eine Blutlache, da sie unglücklich mit einem Glas gestürzt war und sich dieses beim Sturz wohl vor die Brust gehalten hatte. Überall Splitter und Blut am Körper. Sie hatten ebenfalls keinen Puls mehr. Ich musste hier sofort damit beginnen die Blutung irgendwie zu stillen (Geschirrtücher als Druckverband) und dann auch hier mit der Wiederbelebung beginnen.

So standen wir dann in der Nacht da. Zwei Notfälle. Zwei Leute. Keine Abläufe und Struktur mehr möglich. Ich informierte schnell meinen Kollegen darüber per Lautsprecher, legte auf und informierte den Rettungsdienst. Jeder von uns war mit seinem Notfall dann beschäftigt. Ich schaffte es einen Puls zu bekommen. Legte die Bewohnerin in die stabile Seitenlage. Ich öffnete dem Rettungsdienst die Tür, lotste sie zu meiner Bewohnerin, danach schnell zum Kollegen und half dort aus. Danach wieder runter, den anderen Rettungsdienst reinlassen, die Papiere ausdrucken. Nie in meinem Leben habe ich mich so hilflos und überfordert gefühlt.

Beide wurden ins Krankenhaus gebracht. Wir waren fix und fertig. Wir zitterten und keine Tasse Kaffee oder Zigarette konnte es ändern in dieser Nacht. Es war unser Limit gewesen.

Als wir beide in der nächsten Nacht wieder kamen erfuhren wir, dass es beide Notfälle aus dieser Nacht nicht überlebt hatten. Meine Bewohnerin war auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben, der Bewohner meines Kollegen am Nachmittag.

Natürlich kann man nun sagen, es waren alte Menschen, sie hatten ihr Leben gelebt usw. Aber es belastet uns beide sehr. Wir machen uns Vorwürfe, was wir hätten besser machen können.

Wir sind wütend auf alle die dieses System mit zu verantworten haben und es zu dem gemacht haben, was wir jetzt sehen.

Mein Kollege hat vor 4 Wochen gekündigt, ich werde ihm folgen. Er geht aus der Pflege raus, einen Aushilfsjob hat er gefunden. Ich werde in einem Sanitätshaus anfangen.

Dieses System macht die Leute krank. Es ist unverantwortlich, es ist unmenschlich und kennt keine Gnade.

Danke, dass Sie noch kämpfen und nicht aufgeben.

Grüße 
Udo

Quelle • Facebook • Pflegekräfte in Not • Urheber Text © Stefan Heyde

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DESERT ROSE



Die Musik ist ein Ohrwurm und das Video genial.

OHNE WORTE

Sehr geehrter Herr Spahn,

diese Uhr welche sie in Ihren Händen halten gehörte einem Bewohner aus einem Seniorenzentrum irgendwo in Rheinland-Pfalz. Diese Uhr habe ich von der Ehefrau des Bewohners nach seinem Tod erhalten und die Geschichte hinter dieser zerbrochenen Uhr hat mich sehr traurig und nachdenklich gestimmt. Sie war ein Teil, der dazu beigetragen hat mich so intensiv mit dem Pflegenotstand zu beschäftigen und gegen diesen anzukämpfen.

Es handelte sich dabei um einen Mann im Alter von 76 Jahren. Er war noch sehr fit und eigenständig obwohl ihn seine Grunderkrankung, Morbus Parkinson, immer mehr einschränkte und er dadurch auf Hilfe angewiesen war. Die Ehefrau hatte ihren Mann sehr lange, fast 10 Jahre, daheim mit Unterstützung eines ambulanten Dienstes versorgt. Am Ende reichte ihre Kraft jedoch nicht mehr aus und sie musste ihn schweren Herzens in ein Pflegeheim geben. Dort gewöhnte er sich schnell ein und verlor niemals den Humor auf seinem Wohnbereich und hatte Verständnis für die anderen Bewohner, aber auch für die Situation der Pflegekräfte vor Ort. Wenn es möglich war, half er mit und versuchte diese zu entlasten.

An diesem Tag jedoch sollte sich alles verändern.

Der Bewohner wollte kurz vor Mitternacht auf die Toilette gehen und meldete sich per Ruf bei der zuständigen Pflegekraft in der Nacht um deren Unterstützung zu bekommen, da der Weg für ihn alleine zu gefährlich war und er zu schwankend und unsicher auf den Beinen aufgrund des Parkinson war. Die Pflegekraft war in dieser Nacht jedoch mit der Situation auf dem Wohnbereich überfordert, betrat das Zimmer und bat den Bewohner um ein wenig Geduld und schilderte diesem kurz die Situation. In „5 Minuten“ wollte sie wieder da sein.

Der Bewohner wartet und wartete, aber die Pflegekraft kam nicht wieder. So dachte er sich um der Pflegekraft zu helfen, dass er sich selbst auf den Weg macht zur Toilette um diese zu entlasten, denn das hatte ja schon etliche Male vorher auch geklappt. Er lief schwankend zum Bad in seinem Zimmer und suchte nach dem Lichtschalter.

Dabei passierte es. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte. Mühevoll versuchte er sich irgendwo festzuhalten während des Sturzes und schrammte dabei am Heizkörper mit seinem Kopf vorbei, knallte auf das Waschbecken und fiel zu Boden. Er verlor sofort das Bewusstsein.

Die Pflegekraft schaffte es erst um 0:15 Uhr in dieser Nacht das Zimmer des Bewohners aufzusuchen und wollte ihn, wie geplant, zur Toilette begleiten. Als sie das Zimmer betrat fand sie den Bewohner im Bad in einer großen Blutlache mit klaffender Platzwunde und ohne Puls vor. Die Pflegekraft fing sofort mit der Reanimation an, rief den Notarzt und kämpfte um das Leben des Bewohners.

Als der Rettungsdienst eintraf hatte der Bewohner einen sehr flachen Puls, war aber wieder da, jedoch ohne Bewusstsein. Der Rettungsdienst nahm den Bewohner natürlich sofort mit um ihn ins nächstgelegene Krankenhaus zu bringen.

Der Bewohner verstarb in dieser Nacht gegen 03:00 Uhr an einer schweren Hirnblutung.

Er starb, weil er die Pflegekraft, welche in der Nacht mit einem Kollegen zu zweit für über 110 Bewohner zuständig war, entlasten wollte.

Diese Uhr hat mich nun viele Jahre begleitet und wurde für mich zu einem Symbol, sie wurde für mich zur „Uhr der Schande“. Nun ist es an der Zeit diese Uhr weiterzugeben um vielleicht auch Sie zum Nachdenken zu bringen.

Diese Uhr wurde beim Sturz zerstört und blieb genau zu diesem Zeitpunkt mit zersplittertem Glas stehen. Die Uhrzeit zeigt 23:58 Uhr. Die Situation in den Pflegeberufen ist nicht mehr „fünf vor Zwölf“ oder „zwei Minuten vor Zwölf“, es ist schon weit danach.

Es wird Zeit, dass Sie handeln, fernab jedes Parteibuches zum Wohle der Bürger*innen welche einen Lebensabend in Würde und mit der bestmöglichen Versorgung verdient haben. Diese Uhr ist ein Sinnbild, wie schnell jeder von uns ein Teil dieses kranken Gesundheitssystems werden kann.

Falls Sie ein Gespräch wünschen, so können Sie mich natürlich gerne kontaktieren. Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung um Ihnen einen ungeschönten Blick auf die Zustände der Pflegeberufe zu geben.

Mit freundlichen Grüßen
Stefan Heyde

Quelle • Facebook • Pflegekräfte in Not • Urheber Text © Stefan Heyde

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